Als Exschüler des FKG las ich das Buch von
GERNHARDT, Robert: Gernhardts Göttingen, Satzwerk Verlag, 2. Auflage, Göttingen 1997 (So hat uns (Dr. Volker) Sinemus, Ex-Deutschlehrer am FKG, Quellenangabe beigebracht).
Gernhardt besuchte ab 1947 die Felix-Klein-Oberschule, das spätere FKG, in Göttingen. In seinem Buch lässt er sich unter anderem über Englischlehrer aus:
»... gab Biesterfeld mir eine gute Note und lobte den ungewöhnlichen Einfall. Studienrat Flock war das reine Gegenteil, seine dreiste Borniertheit verletzte den Schüler und läßt noch den erinnernden Erwachsenen nicht kalt. Flock hatte an alle Schüler Ausschnitte aus unterschiedlichen englischen Zeitungen verteilt – offenbar ohne sie zuvor gelesen zu haben – mit der Auflage, den jeweiligen Inhalt in der nächsten Stunde zu referieren. Mir hatte er einen ironischen, geradezu bissigen Bericht über das englische Public-School-System gegeben, den ich fast wörtlich referierte, wobei ich immer häufiger unterbrochen wurde, zuerst von lachenden Mitschülern, dann von Flock, der mich anherrschte, ich möge meine Witzeleien lassen. Die Witze ständen alle im Text, erwiderte ich, worauf Flock mich anbrüllte, daß das nicht wahr sei. Er solle ihn doch lesen, schlug ich vor, ein Ansinnen, das Flock rundweg ablehnte und mit einer Strafarbeit ahndete.«
Flock muss damals etwa 40 Jahre alt gewesen sein.
Etwa 25 Jahre danach hatte ich an der zu Felix-Klein-Gymnasium umbenannten Schule, 1976 in der fünften, eventuell noch sechsten Klasse, Englisch bei Flock. Es war sein Dienstzeitende. Flock war von allen Lehrern meiner Schulzeit am meisten »old school«. Ich erinnere ihn durchaus originell.
Er stellte sich uns mit seinem Namen vor und sagte dazu, dass englisch »flock« deutsch »Herde« heißt. Jetzt, 40 Jahre danach, weiß ich noch sein Beispiel »a flock of sheep« – Schafherde.
Dann bekamen wir für den Unterricht englische Vornamen, die unseren Deutschen möglichst entsprachen. Ich hieß »Mark« und dass das auch (Schul-)Note heißt, gab Flock dazu.
Nach meiner Erinnerung war Flock der einzige Lehrer, der mich »an die Wand stellte«. Ich war ihm wohl zu unruhig und er forderte mich auf: »Mark, go to the wall!« oder ähnlich. Ich sollte zur hinteren Wand des Unterrichtsraums gehen und da stehen bleiben. So stellte er uns ruhig. Mir war es schon etwas unangenehm aber auch nicht zu schlimm. Spätestens mit einem weiteren Kandidaten daneben wurde es erträglich.
Anweisungen nutzte Flock bei seinem Unterricht auch ohne verärgert zu sein. Seinen Tonfall dabei kann ich noch ziemlich genau nachmachen. Leider hier kaum wiederzugeben. Er sprach jedes einzelne Wort sehr deutlich aus. Seine Aussprache kam einem »native english speaker« weit näher, als 30 Jahre später die der sächsischen Englischlehrer meiner Kinder.
So wünschte er von meinem Banknachbarn Stefan: »Steven, stand up please!« Stefan stand auf. Dann: »Steven, go to the window please!« Stefan ging zum Fenster. »Steven, open the window please!« Stefan öffnete das Fenster. »Steven, go to the door please!« Stefan ging zur Tür. »Steven, open the door please!« Stefan öffnete die Tür, ging raus und schloss sie. Schüler lachten. Der cholerische Flock lief unverzüglich rot an, eilte aus der Tür und schiss Stefan möglicherweise zusammen. Vielleicht bat er ihn auch nur wieder rein und sagte: »Sit down!« oder so.
Überhaupt war Flock schnell auf »180«. Am meisten erregte ihn Unruhe in der Klasse, Tuscheleien und dergleichen. Wen er dafür verantwortlich machte, bewarf er mit dem, was er in der Hand oder greifbar hatte. Wer ein Kreidestück abbekam, hatte Glück. Ungünstiger war, wenn Flock gerade die Tafel mit einem triefnassen Schwamm abwischte.
Ernsthaft körpergefährlich war Flocks Eigenschaft als stellvertretender Schuldirektor. Dadurch hatte er einen gewaltigen Schlüsselbund in Größe einer Grapefruit. Auch dieses schwere Metallding schmiss er im Affekt in die Klasse ohne nennenswerte Schadenfolge.
Das verschonte Flock nicht von Schülerstreichen oder forderte sie heraus. Welche er genau abbekam, weiß ich jetzt nicht mehr. Ziemlich sicher unterrichtsfremde Zeichnungen oder Texte auf Tafelflächen, die sich bei deren Verschieben oder Aufklappen zeigten. Oder Schülertischkanten mit Kreide bemalen, so dass Lehrer, die daran kamen, weiße Streifen an der Hose hatten. Weiterhin »Lehrerstuhl-Sitzfläche wässern«: Die Stuhlsitzflächen waren hart mit ergonomischen Vertiefungen, die ein paar Millimeter hoch Wasser hielten.
Auf jeden Fall erinnere ich eine grenzwertige Sache mit meinem damaligen Mitschüler P. Wir beabsichtigten, Flock den »Klingel-Brand-Scheiße-Streich« zu spielen. Dabei wird möglichst frischer Kot in Zeitungspapier getan, das vor die Haustür des Streichopfers gelegt und angezündet. Dann klingelt man und beobachtet, wie der Türöffnende den Brand möglichst austritt. P. schied dafür höchstselbst ein ziemliches Gerät in eine Plastiktüte aus. Da uns dann wohl der Mumm fehlte, warf P. die Tüte samt Inhalt kurzerhand auf Flocks Balkon. Besser fände ich, das hätte unsere nächste Englischlehrerin Schön getroffen, die mir im Gegensatz zu Flock verhasst war. Denn Flock verletzte mich nicht.
Er gab uns auch mal auf, zur nächsten Stunde was zum Frühstücken mitzubringen. Bei der Stunde wurden die Tische zusammengestellt und es gab »english spoken breakfast«. Ich meine, ich hätte unseren Toaster mitgebracht, bei dem die Brotscheiben durch Abklappen der Halteklappen gewendet wurden. Kann sein, Flock erklärte uns, dass unsere Toastbrote und Süßaufstriche »continental breakfast« sind. Jedenfalls war er dabei auch mal entspannt. Insgesamt habe ich Flock in guter Erinnerung.
Von allen Englischlehrer/inne/n vermittelte mir Flock die besten Englisch-Grundlagen. Ich war ein Studienjahr in Edinburgh. But the real thing was learning by speaking.
Markus Kronberg
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